Avantgarde und Antike im elften Jahrhundert

Der Begriff der Romanik (in 1819 zum ersten Mahl erwähnt in Frankreich) war im 19. Jahrhundert eingeführt und war im Anfang vor allem auf die Architektur gemünzt worden, die an die römische Baukunst erinnerte.

Die Antikennähe war aber relativ, die Romanik war eher ein Derivat ihres Vorbildes, durch die Verwendung von Rundbögen, Gratgewölben und akkurat zugerichteten und versetzten steinen, was an die römische Baukunst erinnerte.

Die romanische Kunst folgte aber nicht zwangsläufig die römischen Vorbilder. Ihre Anfänge waren mit der Antike verbunden, über die vorromanischer Antikenrezeption, vor allem im und nach der Zeitalter Karls der Großen, hinaus.

Die romanische Kunst erreichte eine eigene Intensität, Innovation und Qualität. Das neue wird in Auseinandersetzung mit den Alten und lokalen Kunstprägungen gewonnen.

Die Antike wird zur Triebfeder der Romanik, identitätsstiftende Motive für neue Dynastien sind aber die entscheidende Wurzeln für die Entstehung romanischer Bildkunst. Wo die romanische Kunst ein Anfang genommen hat ist umstritten, Nord-Italien, Süd-Frankreich oder vielleicht Nord-Spanien, oder doch während Karls des Grossen oder die Ottonen in Deutschland ?

Der Wissenschaftler Stefan Trinks undersucht in seinem Buch ‘Hac in sculptura. Avantgarde und Antike in elften Jahrhundert’ (Berlin 2012) nicht diese Frage, aber die Modernität der Künstler des 11. Jahrhunderts. Trinks zeigt viele Beispiele von produktiver Antikenrezeption durch offenbar frei agierende Künstler, in einer Zeit, die für solche Leistungen nicht bekannt ist.

Er untersucht nur Vorbilder aus Spanien des 11. Jahrhunderts, aber die Modernität lässt sich überall anschauen, in Skandinavien, England, der Schweiz , Deutschland oder Frankreich.

Das christliche Spanien stand im Kampf, in der Reconquista, gegen die Arabische Eroberung und die spanischen Königen sahen sich als Erben des römischen Imperiums und des durch die Araber beseitigten christlichen Westgotenreiches.

So lag der Keim für eine Wiederaufführung der Antike in Spanien, genauer gesagt der Pilgerweg nach Santiago und das Grab des Jacobus. Der Pilgerweg erwies sich auch jenseits der Pyrenäen als ein wahrer Umschlagplatz von Ideen, Wissen, Kunst und Formen.

Trinks vergleicht die Darstellungen der nordspanischen Bildhauer mit den Figuren und Motiven der Antike.

Diese Beschäftigung war vielgestaltig, innovativ und kreativ. Manches kling dabei modern, wie eine Avantgarde, der Anfang der Renaissance des 12. Jahrhunderts ? (Quelle: Prof. W. Schenkluhn, ‘Laudatio auf den Preisträger Stefan Trinks’ in P.C. Claussen, Skulptur-Schöpfungsmythen-Romanik (Halle Wittenberg 2012).